Die Symmetrie
Die Symmetrie der Natur
Bei genauer Betrachtung wird schnell offensichtlich, dass das Prinzip der Symmetrie die ganze Natur durchzieht (Abb. 1). Die sprichwörtliche Schönheit der Natur scheint im wesentlichen auf der Proportionalität der Symmetrie zu beruhen. Bei der Beobachtung der Natur treten uns die verschiedenen Arten der Symmetrie in tausendfacher Weise entgegen.
Wir können dabei unter anderem folgende Formen unterscheiden:
- Bilaterale oder Spiegelsymmetrie:
Darunter verstehen wir die Symmetrie zweier Seiten. Zu finden ist siebeispielsweise in der Seitengleichheit des Schmetterlings, des Menschen usw.
- Drehsymmetrie:
Dies sind rotationssymmetrische Gebilde wie das Windrad, der Seestern usw.
- Kugelsymmetrie:
Es handelt sich hierbei um dreidimensional symmetrische Gebilde, wie beispielsweise einzellige Radiolarien oder ein Fußball.
Es sei gleich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sämtliche Arten der Symmetrie Idealformen beschreiben, die ähnlich wie die Körper der klassischen Euklidischen Geometrie tatsächlich nicht vorkommen. So ergibt sich zum Beispiel bei genauer Betrachtung, dass die rechte Seite des Schmetterlings kein exaktes Spiegelbild der linken ist. Trotz der tatsächlichen Unterschiedlichkeit ist jedoch das »Ideal« der Symmetrie zweifellos an der Form des Schmetterlings erkennbar. So verhält es sich mit allen Arten der Symmetrie. Würde andererseits eine Ecke des linken Flügels fehlen, könnte man nicht mehr von einer Form der Symmetrie sprechen.
Der engen Verbindung von Symmetrie und Schönheit begegnen wir überall in der Natur wieder. Sie tritt uns bei der Beobachtung der Welt in tausendfacher Weise gegenüber, sowohl im Mikro- als auch im Makrokosmos sowie in der unbelebten und belebten Welt. So finden sich beispielsweise im Bau sämtlicher Kristalle symmetrische Verhältnisse. Bekanntermaßen besteht die Mehrzahl aller anorganischen Materie im festen Zustand aus Kristallen. Aber auch bei sämtlichen niederen wie höheren Lebewesen findet sich die Symmetrie in der Körperform wieder. Das schon in der anorganischen Welt vorherrschende Prinzip der Symmetrie darf demnach als ein Grundgesetz unserer irdisch-materiellen Welt betrachtet werden, welche das Fundament für die sich darauf aufbauenden Lebensbereiche von Pflanze, Tier und Mensch ist.
Symmetrie ist demnach nicht nur ein Ausdruck des »Äußeren« oder der Form, sondern auch ein Muster in der Entwicklung. So unterliegt Wachstum nicht etwa dem Zufall, sondern bestimmten geometrischen Gesetzen, in welchen die Symmetrie eine besondere Rolle spielt. Bis in die Chromosomen und Gene finden wir eine sich auswirkende symmetrische Teilung. Es ist die stoffliche Voraussetzung allen Wachstums. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die ersten Teilungsvorgänge der befruchteten Eizelle oder andere mitotische Zellteilungsprozesse. Symmetrie ist demnach nicht nur eine Äußerlichkeit oder ein Ausdruck innerhalb der Formen, sondern auch eine Art Entwicklungs- und Wachstumsmuster. Damit hat die Symmetrie nicht nur einen förmlichen Charakter, sondern auch einen funktionellen, prinzipiellen.
Symmetrie ist sogar ein universelles Denkmodell, nämlich das Denken in Gegensätzen und Polen. Die dualistische Gliederung unserer Welt findet sich nicht nur in der unmittelbar geometrischen Ausdrucksweise der Symmetrie, sondern auch in vielen anderen Bereichen, wie zum Beispiel im Sprachgebrauch, sämtlichen Teilgebieten der Naturwissenschaften, sowie in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Beispiele für das zutiefst menschliche Denken in Gegensätzen sind Antagonismen wie hell - dunkel; Mann - Frau; rechts - links; gut - böse usw. Physikalische Beispiele sind actio - reactio; plus - minus; Materie - Antimaterie, um nur einige wenige Polaritäten zu nennen. Sie müssen grundsätzlich zusammen betrachtet werden, ein Pol kann nicht ohne den anderen beschrieben werden, so wie die Seitensymmetrie nicht unter Ausschluss einer Seite verstanden werden kann.
Der unmittelbare Zusammenhang von Symmetrie und Schönheit ist offensichtlich, ebenso ihre beeindruckend fundamentale Bedeutung innerhalb unserer Welt. Das festzustellen ist ein erster Schritt, auch wenn die eigentlichen Grundfragen bestehen bleiben: Was ist Symmetrie? Warum ist sie ein Naturgesetz? Und die wichtigste Frage: Warum ist Symmetrie schön?
Die Natur der Symmetrie
Aus dem Griechischen übersetzt heißt Symmetrie »einander zugemessen«, »Spiegelungsgleichheit« oder »wechselseitige Entsprechung von Teilen in Bezug auf Größe, Form oder Anordnung«. Einfach ausgedrückt ist Symmetrie demnach die Gleichheit der Teile (Abb. 2). Ein Schmetterling, hier der heimische Schwalbenschwanz, gilt beispielsweise als besonders schön, wenn Größe, Farbe und Lokalisation der einzelnen Zeichnungen und Muster auf den Flügeln annähernd identisch sind. Dann erscheinen sie spiegelungsgleich.
Warum empfindet der Mensch das Prinzip der Gleichheit jedoch als schön und harmonisch? Es scheint nicht die Gleichheit der Teile an sich zu sein, was die Symmetrie schön macht, sondern das Bild »eines Ganzen«, welches im Betrachter hervorgerufen wird. Die besondere Anordnung der Teile spielt dabei eine funktionelle Rolle, da das Auge sich bei symmetrischen Gebilden nicht im Detail verliert, sondern das Gesamtbild als solches leicht erkennt. In der Symmetrie steht kein Teil losgelöst für sich, sondern stets in einem Gesamtzusammenhang mit den anderen, wodurch ein Bild der »Einheit« aller Teile hervorgerufen wird. Das geschieht über das Ordnungsprinzip in der Symmetrie, mithin über die Gleichheit der Teile. Die Schönheit der Symmetrie liegt also darin, dass im Betrachter ein Bild der Vollkommenheit und Einheit hervorgerufen wird. Eine Unregelmäßigkeit oder Ungleichheit der einzelnen Teile senkt den Grad der Symmetrie und wird als unproportioniert, unharmonisch und unvollkommen empfunden, da das Auge sich im Detail verliert und den Gesamtzusammenhang nicht herstellen kann. Das Prinzip der Symmetrie, welches durch die Gleichheit der Teile zum Ausdruck kommt, ist unmittelbar mit der Eigenschaft der Schönheit verbunden. Symmetrie ist ein Schönheitskriterium. Die Fähigkeit der Zusammenschau aller Einzelteile zu einem Gesamtbild, zu einer Vollkommenheit ruft im Betrachter die Empfindung des Schönen und Geordneten hervor.
Das Mysterium der Schönheit scheint so über den Umweg der Symmetrie auf eine einfache Art und Weise gelöst zu werden: Schönheit ist Symmetrie. Ist dieser Rückschluss so zulässig? Kann mit dem Ordnungsprinzip der Symmetrie das Mysterium der Schönheit vollständig erfasst werden? Ist das Prinzip der Gleichheit der Teile der Schlüssel zur Schönheit, und ist nur das schön, was symmetrisch ist? Eine Bejahung dieser Frage würde heißen, dass Asymmetrie grundsätzlich unharmonisch und hässlich ist. Ist es ausschließlich die Gleichheit der Dinge und Teile, wie sie in der Symmetrie zum Ausdruck kommt, die Erscheinungen schön macht? Kann Gleichheit das Grundprinzip der Schönheit sein? Hat nicht auch das Ungleiche, das Asymmetrische einen bestimmten Reiz? Ist es nicht gerade das Besondere und das Andersartige, was die Einmaligkeit aller Dinge ausmacht und von dem ein wesentlicher Reiz des Lebens ausgeht? Ist nicht vielmehr die Einmaligkeit jeder Erscheinung, das Individuelle jedes Menschen der eigentliche Schlüssel zur Schönheit?